Die folgende Zeit
Ende 2005 war mein Weg aber noch lange nicht zu
Ende. Ich denke vielmehr, dass er da erst so richtig begann. Ich
habe mehr und mehr über mich selbst erfahren und mich so viel
besser kennen gelernt.
Das Jahr 2006 ging nicht ganz so gut für mich los. Die Anzeige
gegen meinen Vater wurde wegen Verjährung eingestellt. Damit hatte
ich nicht gerechnet, doch offensichtlich galten damals andere
Gesetze als heute.
Im Frühjahr beendete ich dann mein Studium der Medieninformatik mit
einem guten Abschluss. Das letzte Studienjahr war alles andere als
einfach für mich, da es mir oft sehr schlecht ging und ich Mühe
hatte, mich wirklich auf mein Studium zu konzentrieren.
Am 1. April 2006 zog ich endlich zu Hause aus. Lange hatte ich mich
auf diesen Tag gefreut. Nach vielen Monaten hin und her entschied
ich mich letztlich dafür mit meinem Freund zusammen zu ziehen. Das
hieß für mich: ein Umzug weit weg in ein anderes Land, nach
Österreich ins schöne Tirol. Heute bin ich froh, dass ich diesen
Schritt gemacht habe. Weg von dem, was mich ständig an die Dinge
erinnert hat, die mir passiert sind. Vor allem weg von meiner
Familie.
Zwei Wochen später hatte ich sogar schon Arbeit gefunden. Es ist
nicht unbedingt das, was ich mir vorgestellt habe, denn es hat rein
gar nichts mit meinem Studium zu tun. Aber ich bin froh, das erste
Mal in meinem Leben wirklich arbeiten zu gehen. Auch wenn es nicht
immer einfach ist und ich oft denke, dass ich es nicht mehr
schaffe.
Im Juni 2006 begann ich meine zweite Therapie. Die Bedingungen hier
sind nicht so gut wie in Deutschland, so dass ich den Großteil
selbst bezahlen muss. Dennoch bin ich sehr froh, dass ich mich
dafür entschieden habe. So lernte ich mit der Zeit weitere meiner
Inneren Kinder kennen.
Weihnachten 2006 entschied ich mich kurzfristig dafür, doch an
einer Familienfeier bei meiner Oma teilzunehmen, obwohl ich wusste,
dass mein Vater auch anwesend sein würde. Ihn hatte ich nun schon
seit fast eineinhalb Jahren nicht mehr gesehen. Ich habe ihn so gut
es ging ignoriert, was mir auch gut gelang. Allerdings hatte sich
die Sache inzwischen in der Familie rumgesprochen und es kamen
einige dumme Kommentare. Daher war ich froh, dass ich ohnehin nicht
so lange bleiben wollte.
Anfang 2007 erkundigte ich mich mal wieder bei der
Staatsanwaltschaft nach dem Stand des Verfahrens gegen meinen
Trainer. Doch eine wirklich zufriedenstellende Antwort bekam ich
nicht. Ich rief regelmäßig dort an, aber irgendwie ging es nicht
vorwärts. Einmal war die Akte verschwunden, dann die zuständige
Staatsanwältin auf Urlaub. Schließlich hieß es, es würde vielleicht
eingestellt, aber man wolle sich noch nicht darauf festlegen. Also
heißt es weiter warten.
Im Februar entschied ich mich dazu einen Antrag auf
Opferentschädigung nach dem OEG zu stellen. Also hab ich mir die
nötigen Formulare besorgt und dann den Antrag ausgefüllt. Meine
Thera hat mich dabei super unterstützt, gerade was die Folgen des
Missbrauchs anbelangte. Nun muss ich warten wie es mit dem Antrag
weitergehen wird.
Mittlerweile bin ich schon fast ein Jahr hier in Tirol und ich bin
nach wie vor der festen Überzeugung, dass es der richtige Schritt
war. Ich fühle mich hier viel freier, kann tun was ich möchte und
einfach so sein wie ich bin. Ich muss mich nicht mehr verstecken
und kann weiter an meiner Heilung arbeiten.
geschrieben am 24.03.07